zu Egos von Klaus D. Engelke
Vernissage Margit Schuler BBK Nürnberg 02.05.2010 Ausstellung „Small Front Heroes“ Galerie Hirtengasse
Meine Damen und Herren,
„wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“ Dieser ungeheuere Satz Albert Camus ging mir durch den Kopf, als ich im Atelier von Margit Schuler vor diesen Bildern stand. Sisyphos ein glücklicher Mensch? Jener, der als Strafe der Götter unablässig einen Felsblock einen Berg hinauf wälzt, von dessen Gipfel der Stein wieder hinunter rollt, um am Fuße des Berges aufs Neue beginnend, das Gesicht an den Fels gepresst, diesen nach oben zu schieben? In dieser nicht endenden Wiederholung wird das Tun absurd und zugleich eine Metapher für das ganze menschliche sein. Dabei gibt es zwei erhellende Momente: Der erste, da ihm auf dem Gipfel der Stein entgleitet und wieder hinab poltert. Der zweite, wenn er nach mühsamen Abstieg aufs Neue Brust, Gesicht und Schultern an den Fels presst. Dies sind die Augenblicke einer Grenzüberschreitung. Genauer gesagt, die Augenblicke, da sich Sisyphos auf der Grenzscheide zwischen Sieg und erneuter Niederlage befindet. Durch das erneute Beginnen der Mühsal entscheidet sich Sisyphos paradoxerweise jedoch für den Sieg, denn das bewußte Annehmen seines Schicksals und die Verachtung desselben macht ihn frei.
Warum ich Ihnen dies erzähle? Nun, meine Damen und Herren, diese Ausstellung trägt den Titel „Small Front Heroes“ und zeigt Menschen, die sich genau auf der Grenzscheide der Entscheidung befinden. Sie stehen oder sitzen gleichsam entrückt vor uns und wir, die Beobachter halten den Atem an, uns fragend, ob diese Personen ihre alten Mühen wieder auf sich nehmen werden, oder doch eine neue, eine andere wählen. „Small Front Heroes“ zeigt Menschen in äußerer Ruhe, meist im Zentrum des Bildes. Sie sitzen oder stehen uns gegenüber, doch sie sehen uns meist nicht an. Ihr Blick geht nach innen oder über uns hinweg. Sie sind im Zustand der Vorentscheidungg oder der gerade getroffenen Entscheidung. Noch ist diese nicht angekommen in den Gesichtern, aber sie werden sich entscheiden.
Sie werden sich entscheiden, die bösartigen Strafen der Götter auf sich zu nehmen. Nicht wie Hiob, der am Ende seiner Qual Gott dankt, sondern, da die Qual niemals endet, als bewußte, selbstgetroffene Entscheidung.
Darin besteht die ganz verschwiegene Freude des Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm.
Meine Damen und Herren, ich stelle mir vor, dass die Person auf dem Bild Ego 3 seine Entscheidung gerade getroffen hat. Sein Blick weist auf dieses Ziel, dass vielleicht eines der endlosen, schmerzhaften Wiederholungen ist. Noch ist der Körper in Ruhe, doch das Gesicht kündigt den ersten Schritt an. Gleich wird er sich aufmachen zu seiner Aufgabe, uns nicht beachtend.
Alle, die hier um uns versammelt sind, selbst jene, deren Blicke noch gesenkt sind, wissen, dass sie aufbrechen werden. Die Frau von Ego 7 lächelt, da ihre Entscheidung schon gefallen ist. Sie ist bereits auf ihrem Weg. Während die Frau von Ego 8 und der Mann mit dem Hund von Ego 10 noch zögern.
Meine Damen und Herren, die Künstlerin Margit Schuler ist eine erstaunliche Person. Obwohl sie sich der verschiedensten Techniken bedient, von der Zeichnung über die Collage bis zum großformatigen Acylbild; obwohl sie die verschiedensten Themen in langen Serien bearbeitet, bleibt sie doch immer dem gleichen Grundthema treu: Dem Menschen im Zustand der Grenzüberschreitung.
Kaspar Hauser war so ein Thema. Der plötzlich in Nürnberg auftauchende junge Mann, der aus einer anderen, düsteren Welt gekommen sein wollte, der die Zeitgenossen in Erregung versetzte, bis er im Alter von 23 Jahren erstochen wurde oder sich vielleicht selbst tödlich verletzte.
Parzival, Held des Verseposes von Wolfram von Eschenbach, der in der Welt der Artussagen unmögliche Abenteuer erlebt, bis er die innere Grenze des Selbst überschreitet und den Gral erlangt.
Ikarus ( eine Collagen- und Zeichnungsserie ) der mit seinem Vater Dädalos dem Gefängnis des grausamen König Minos mit aus Federn und Wachs gebauten Flügeln entkommt und seine Grenze überschreitet, indem er sich der Sonne nähert.
Grenzgänger nicht aus Zufall oder Versehen, sondern aus eigener Entscheidung.
Die Künstlerin Margit Schuler mutet uns einiges zu. Wir, die wir gewohnt sind, einem Bild in einer Ausstellung maximal 10 Sekunden zu widmen, stehen hier unter den distanzierten Blicken dieser Figuren nun schon Minuten und wir können nicht vermeiden, uns diesen Blicken auszusetzen - außer natürlich durch Flucht.
Meine Damen und Herren, in der Betrachtung von Kunst redet man oft von dem Gegensatz der angeblich so eindeutig und unwiderlegbar ist, nämlich der Gegensatz zwischen der Kunst die „denkt“ und der Kunst die „darstellt“. Die unterschiedlichsten Künstler werden der jeweiligen Kategorie zugerechnet. So sollen Duchamp, Malewitsch und Mondrian zu den „Denkenden“ gehören, Bacon und Lucien Freud zu den „Darstellenden“. Dann wäre als Malewitschs Schwarzes Quadrat eine Denksportaufgabe und Bacons schreiender Pabst der pure Gefühlsausbruch. Sie merken natürlich schon an meiner Formulierung, was ich davon halte. Denn die hier gezeigten Arbeiten von Margit Schuler beweisen aufs Schönste, dass dieser Gegensatz ein frei erfundener ist, der nur dazu dient, die Zuordnungsschubladen der Kunstkritiker zu füllen.
Denn jedes Kunstwerk entsteht als Synthese von spontaner Assoziation und planender Gestaltung und genau diese Mischung ist es, die wir bei den Arbeiten von Margit Schuler vorfinden.
Wenn sie zum Beispiel Kaspar Hauser, Parzival und Ikarus als Themen wählt, so ist dies sicher zuerst einmal auf die eigene Berührung durch diese Geschichten zurückzuführen. Dann folgt jedoch schnell die planende Überlegung bei der Wahl der Darstellungstechniken, sowie bei der Wahl der Bildinhalte. Margit Schuler versucht dabei, jedem Thema seine eigene Ausdrucksform zu geben. Hier, bei den uns umgebenden Bildern der Serie „Small Front Heroes“ ist es die Kargheit, die Zurücknahme der Farbe zu Gunsten des Ausdrucks. Dieser ist jedoch nicht in lebhaft, - dynamischer Bewegung, sondern in Ruhe, fast in Erstarrung. So wird der Betrachter gezwungen, sich auf zwei oder drei Details zu konzentrieren: die Augen, den zusammengepreßten Mund, die verschränkten Hände oder ein fast schon verwelktes Lächeln.
Da wir als Menschen gewohnt sind, dass uns umgebende zu entschlüsseln und in unsere Erfahrungswelt einzuordnen, werden wir vor diesen Bildern unmittelbar auf uns zurück geworfen.
Da keine buntschillernden Farben oder expressive Gesten uns betören, stehen wir so unmittelbar vor der Botschaft dieser Bilder. Wir stehen vor uns selbst!
Wir stehen vor uns als einem Menschen, der sich entscheiden muß, jeden Tag, jede Minute. Und wir stehen vor diesen Bildern als Menschen, die sich entscheiden können.
Unser Verhalten ist nicht so determiniert wie das der Tiere. Selbst wenn hier inzwischen die moderne Hirnforschung einige Zweifel anmeldet.
Die Bilder Margit Schulers sagen uns: geh, nimm dein Schicksal an und versuche glücklich damit zu sein. Glücklich wie Sisyphos
Klaus D. Engelke
Bildender Künstler